Michael Hübl, BNN, 1.09.2008
VERSUCH’S DOCH MAL MIT DEINER MUTTER
Karlsruher Atelierbesuche (56): Leonie Weber und des komplexe Alltägliche
Einmal im Monat ist sie in Weimar, zwischendurch auch immer wieder in Berlin, doch ihr Atelier hat Leonie Weber in der Karlsruher Südstadt. Seit zwei Jahren lebt sie in Badens einstiger Kapitale, die sie bereits von früherer Gelegenheit kannte: 1997 absolvierte die gebürtige Heidelbergerin ein Gastsemester bei Stephan Balkenhol an der hiesigen Kunstakademie. Ihr eigentliches Studium absolvierte Weber jedoch an der Bauhaus Universität Weimar, und an ihren ehemaligen Studienort kehrt sie auch heute regelmäßig zurück.
Dort steht an einer Ecke des Sophienstiftplatzes ein ehemaliger Zeitungskiosk. Die 1968 im Stil der DDR-Moderne errichtete Liegenschaft wurde 2002 von der Künstlerin Katharina Hohmann und der Designerin Katharina Tietze in einen Ausstellungsraum verwandelt. Die beiden Katharinen namen die Anfangsbuchstaben ihres Vornamens und gründeten das „K&K Zentrum für Kunst und Mode“. Als sie ihr Projekt aufgaben, drohte Weimars kleinstem Kunsthaus das Aus. So nahm sich denn Leonie Weber zusammen mit Felix Ruffert der Sache an; seit Frühjahr 2007 kuratieren die beiden das Ausstellungsprogramm dieses „Fensters zum Rest der Welt“, das nun allerdings einen neuen Namen hat: „KoCA – Kiosk of Contemporary Art.“
Unternehmungen mit wechselnden Künstlern und, wenn es sich anbietet, mit Arbeiten aus unterschiedlichen Disziplinen, machen Leonie Weber Spaß. Zusammen mit ihrem Mann Jesse Seldess hat sie in Berlin die Reihe „the floating series“ ins Leben gerufen. An wechselnden Schauplätzen fanden da Ereignisse statt wie „Neue Heimlichkeiten“ (2005), „The Soap Project“ (2006) oder „Eintagsfliege“ (2007). Kunst wurde ausgestellt, Lyrik gelesen, experimentelle Musik gemacht – durchaus auch im Sinne von Seldess, der in Chicago als feste Größe in Sachen Avantgarde-Dichtung gilt und der gegenwärtig von Karlsruhe aus die Zeitschrift „Antennae“ herausgibt.
Einsam in Chicago?
In Chicago, wo die Künstlerin vor siebeneinhalb Jahren als Gaststudentin am School of the Art Institute eingeschrieben war, entstand nicht zuletzt Webers Video „Are you lonesome tonight?“. Es besteht aus drei Szenen, die auf den ersten Blick einigermaßen Alltägliches schildern. Ein Mann versucht eine junge Frau (seine Tochter?) zu einer etwas leidenschaftlicheren Zukunftsplanung zu animieren; eine junge Dame sitzt allein in einem Restaurant und erwartet niemanden; ein Internet-Café-Benutzer müht sich, seine briefschreibende Nachbarin mit der Mitleidstour anzubaggern („Ich habe keine Freunde, denen ich schreiben könnte“) und bekommt zur Antwort: „Versuch’s doch mal mit Deiner Mutter.“
Alles nichts Dramatisches. Keine Eskalation, kein Knoten, der platzt, keine Katastrophe. Und doch bleibt hinter diesen, wenn man so will: grundnormalen Bildern ein Moment der Irritation spürbar. Normal? Was heißt das eigentlich? Wenn man bei den Arbeiten von Leonie Weber genauer hinsieht, wird deutlich, dass es sich bei diesem Wort um einen reichlich relativen Begriff handelt. Er bezeichnet einen Zustand, dem ein solches Quantum an vermeintlicher Selbstverständlichkeit anhaftet, dass er nicht weiter auffällt. Wo es gängige Praxis ist, dass alle täglich Schaumwein schlürfen und Kaviar naschen, sind Schaumwein und Kaviar normal. Wo alle in ausgeblichenen Billiglumpen herumschlurfen und Fast Food in sich hineinstopfen, ist andererseits normal.
Die Frage bleibt nur, welche Strukturen sich hinter der jeweiligen Normalität verbergen. An diesem Punkt entfaltet die Kunst Leonie Webers ihre Wirkung. In ihrem Video „Over“ schildert die Künstlerin Situationen aus Paarbeziehungen: Seelen-Desaster zwischen Ketchup und Käse, emotionale Endzeitstimmung mit Streit um eine Nick-Cave-CD, seltsame Gefühle, die man sich nicht traut, ohne Umschweife beim Namen zu nennen …
Karteikarten mit Verbalmaterial
Die Aussagen und Dialoge, die da zu hören sind, meint man zu kennen. Kein Wunder: Weber sammelt Gesprächsfetzen, Sprachfundstücke und anderes Verbalmaterial, das sie auf Karteikarten notiert. Bei Bedarf genügt ein Griff, und die Authentizität einer Arbeit ist gesichert. Was nicht gleichzusetzen ist mit bloßer Wirklichkeitskopie. Weber nimmt einen Satz oder das Fragment einer Unterhaltung als Anstoß zu eigenständigen Formulierungen, die fortsetzen, akzentuieren, was in dem Fundstück bereits angelegt war.
Mit diesem Anspruch geht Leonie Weber auch an eine weitere Gruppe innerhalb ihres gattungsübergreifenden Werks heran: an ihre Modelle architektonischer Situationen. Von der Größe her entsprechen sie Puppenstuben – von der Anmutung repräsentieren sie das rohe Gegenteil dessen, was man mit diesen niedlichen Miniaturwelten gemeinhin verbindet. Einen tristen Flur mit graugrünem Amtsstubenanstrich hat Weber nachgebaut oder auch einen versifften Einfachwohnbau und eine heruntergekommene Ladenzeile. „Sieht aus wie in der Südstadt“ kommt einem spontan über die Lippen. Weber ergänzt: „Oder wie in Berlin.“
Klar: Die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen samt ihrer Rückwirkungen auf den urbanen Lebensraum sind bundesweit wohl einigermaßen ähnlich. Weber geht es nicht darum, sie abzumalen oder nachzumodellieren. Sie will durch die Veränderung des Maßstabs die Wahrnehmung in andere Bahnen lenken – ein Ziel, das sie bei ihren dramaturgisch klug angelegten Videos unter anderem dadurch erreicht, dass sie Laienschauspieler agieren lässt.
Umgebung und Verhalten
Alles Vertraute hat bei Leonie Weber mindestens eine zweite Ebene, und wer sich mit ihrer Kunst befasst, wird manchmal feststellen, dass er dabei nicht selten auf seine eigenen Vorstellungen, Lebenskonzepte oder Denkmuster stößt. Hier hat ihr Interesse an der Kunst seinen Schwerpunkt – in der Frage, wie und wie weit Menschen in ihrem Handeln von Konvention und Umgebung abhängig sind oder gar in ihrem Verhalten festgelegt werden.
Michael Hübl